Forscher zweifeln
Hat es den Urknall gar nicht gegeben?
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Am Anfang war der Big Bang – damit begann die Geschichte des Universums. Doch manche Forscher stellen die Idee des Urknalls infrage. Die Alternative dazu klingt fast noch verrückter. Von Ricarda Laasch
02. Januar 2018
Schon seit Jahrtausenden versucht die Menschheit, sich den Beginn der Welt zu erklären. Am Anfang war das Wort – so steht es in der Bibel. Astrophysiker haben da jedoch so ihre Zweifel.

Sie reden lieber vom Urknall, englisch Big Bang, dem Moment, in dem alles spontan aus dem Nichts entstand. Materie, Raum und Zeit – all das gibt es ihrer Theorie zufolge erst seit diesem Zeitpunkt vor etwa 13,8 Milliarden Jahren.

Was war davor? Gibt es überhaupt ein davor? Wie kann das heute so riesig große Universum, das aus zig Milliarden Sternen besteht, aus dem Nichts auftauchen?

Für den Laien ist die Urknall-Theorie kaum zu begreifen. Und auch der eine oder andere Astrophysiker hat seine Schwierigkeiten damit.

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Gab es den Urknall wirklich oder handelte es sich um ein anderes kosmologisches Ereignis? Mancher Kosmologe stellt die bisher prominenteste Theorie zum Ursprung des Universums in Frage.

Statt eines Urknalls gefolgt von einer raschen Phase der Ausdehnung, der Inflation, schlagen diese Forscher einen Übergang vor, einen kosmischen “Bounce”. Doch was heißt das?

Der Bounce folgt auf eine andere kosmologische Epoche, in der sich das Universum langsam zusammenzieht. Dies hat zur Folge, dass der bisher geglaubte Anfang des Universums gar nicht der Beginn war, sondern lediglich ein Meilenstein in einer deutlich längeren kosmischen Entwicklungsgeschichte, als die Urknall- und Inflationstheorie bisher angenommen hatte.

Nach der Urknalltheorie ist unser Universum knapp 14 Milliarden Jahre alt und begann in einem chaotischen Anfangszustand, in dem sogar der Raum selber verformt war. Im Vergleich dazu ist das Universum heute flach und gleichmäßig. Damit meinen Forscher die Tatsache, dass große Strukturen, wie Galaxien und Planetensysteme, die extrem weit voneinander entfernt sind, sich trotzdem ähnlich sind.

Esa/ Planck Collaboration
Entwicklung des Universums seit dem Urknall

“Mithilfe der Inflationstheorie wollten wir diesen Übergang aus dem winzigen, chaotischen Universum in unser derzeitig großes, gleichmäßiges Universum erklären”, sagt Paul Steinhardt, Professor an der Princeton University in New Jersey, USA, und Mitbegründer der Inflationstheorie.

Die Idee der Inflation ist dabei recht simpel: Durch eine schnelle Ausdehnung gleichen sich alle Dellen und Unebenheiten im jungen Universum aus bis das Universum sich selber glattgebügelt hat. Danach geht es in den aktuellen Zustand einer langsamen Ausdehnung über. Demnach wäre der Urknall ein logischer Anfangspunkt.

Quantenmechanische Einflüsse

“Auf den ersten Blick hielten wir Inflation für eine elegante und einfache Lösung”, sagt Steinhardt. Sie sei eine Theorie, die einfach nur ein bisschen mehr Detailarbeit erfordere, um den Anfang des Universums zu erklären. “Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail.”

Einer der Hauptkritikpunkte an der Inflationstheorie ist, dass der Einfluss von quantenmechanischen Effekten, die man üblicherweise vernachlässigt, eine Rolle spielen könnte. In unserem Alltag kommen wir so gut wie nie mit der Quantenmechanik in Berührung. Sie ist zwar entscheidend für Abläufe auf atomarer Ebene und darunter, nicht jedoch für makroskopische Objekte wie eine rollende Billardkugel.

DER SPIEGEL
Steinhardt zeigte auf, dass diese quantenmechanischen Einflüsse während der inflationären Ausdehnung sich sogar so stark vergrößern, dass das Universum nicht mehr geglättet wird. Stattdessen bricht das Babyuniversum in unendlich viele neue Universen auf, die alle unterschiedliche Eigenschaften besitzen und die alle gleich (un-)wahrscheinlich sind.

Dieses Phänomen wird heute Multiversum genannt. Steinhardts Kritik am inflationären Multiversum besteht darin, dass es der inflationären Theorie die Vorhersagekraft raubt; in einem unendlichen Multiversum können wir nicht erklären, warum unser Universum diese und jene Eigenschaften besitzt, was aber die eigentliche Aufgabe der Kosmologie ist.

Keine Inflation

Zur theoretischen Kritik an der Inflation kommen die fehlenden experimentellen Nachweise. Die Suche nach sogenannten primordialen Gravitationswellen – Kräuselungen der Raumzeit, die durch die rasche Ausdehnung entstanden und somit ein starker Hinweis für die Inflationstheorie wären – war bisher erfolglos. Diese Gravitationswellen sind übrigens nicht identisch mit den jüngst entdeckten Gravitationswellen, die aus der Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern stammen.

Für Steinhardt und seine Kollegen ist die bislang erfolglose Suche nach primordialen Wellen eine Bestärkung ihrer These des kosmischen Bounce. Während der Urknall eine heftige Explosion ist, ist ein kosmischer Bounce eher zu vergleichen mit einem Gummiband, das sich zusammenzieht und dann wieder ausdehnt.

“Wir würden also deutlich schwächere primordiale Gravitationswellen erwarten als bei einem ausgewachsenen Urknall gefolgt von der inflationären Phase”, erklärt Anna Ijjas, Forscherin der Columbia University. “Vor einem kosmischen Bounce zieht sich das Universum erst langsam zusammen und dehnt sich danach wieder langsam aus.” Eine Inflation, also eine schnelle Ausdehnung, finde nicht statt.

Die zwei Bounce-Szenarien

Aufgrund der langsamen Kontraktion des Universums bleiben auch diejenigen quantenmechanischen Effekte, die man üblicherweise ignoriert, die aber während der inflationären Phase extrem vergrößert werden, gering, sodass auch kein Multiversum zustande kommt. Dies ist ein großer Vorteil gegenüber der Inflation.

Die größte Herausforderung für Forscher ist eine exakte wissenschaftliche Beschreibung des Bounces. In zwei Ansätzen arbeiten Forscher an neuen Theorien für den Übergang von Kontraktion zu langsamer Ausdehnung des Universums.

Steinhardt und Ijjas arbeiten mit einem Szenario, bei dem sich das Universum auf eine minimale Größe zusammengezogen hat, aber weiterhin eine Ausdehnung besaß. Neil Turok, Direktor des Perimeter Instituts für theoretische Physik in Kanada, und sein Kollege, Steffen Gielen, hingegen stellen sich einen kosmischen Bounce vor, bei dem sich das Universum vor der Ausdehnung zu einem einzigen Punkt, auch Singularität genannt, zusammengezogen hat.

Auch stellt sich die Frage, was vor der vorherigen Phase war. Einige Ideen dazu beziehen sich auf ein zyklisches Universum, in dem sich Ausdehnung und Zusammenziehen in einem ewigen Kreislauf abwechseln.

Doch definitive Nachweise gibt es dafür genauso wenig wie für den abrupten Beginn mit einem Urknall. Erst weitere Forschung und experimentelle Daten werde Klarheit über die Frage nach der Herkunft des Universums bringen können.

Im Video: Nachweis von Gravitationswellen – “Ein völlig neuer Blick ins Weltall”